Georgi von Ostava über Touren und die Punk-Renaissance

Autorin: Iliyana Braykova

Ihre Musik klingt wie ein Sonnenuntergang, der von einem Zug auf der Strecke Sofia-Berlin betrachtet wird. Sie hinterlässt Spuren wie der süß-bittere Geschmack von „Schokolade“. Hier in der Stadt der „hungrigen Liebesherzen“ fühlen sie sich zu Hause.

Die 1991 gegründete Band Ostava bleibt bis heute einer der bekanntesten Namen in der bulgarischen Alternativszene. Sie kehren immer wieder nach Deutschland zurück – bisher waren sie auf vier unvergesslichen musikalischen Reisen, von denen sie einige mit Gibelin teilen. Wir haben den Gitarristen der Band Georgi Georgiev kontaktiert, um uns an unsere gemeinsamen Konzerte zu erinnern, über Kreativität zur Zeit der Quarantäne zu sprechen und die kreativen Überraschungen zu betrachten, die uns bevorstehen.

 

Hallo Georgi. Ich kann nicht anders, als Dich zu fragen, wie Du mit Quarantäne umgehst. Was ist dein Rezept gegen Langeweile?

Durch Zufall kamen meine Familie und ich Anfang März für zwei oder drei Tage aufs Land. Dann wurde die Quarantäne angekündigt und so bin ich seit fast zwei Monaten mit der ganzen Familie hier. Wir haben ein altes Familienhaus in der Nähe von Veliko Tarnovo und Tryavna, im Zentralbalkan. Ich versuche, das Positive aus der ganzen Sache herauszuholen. So viel Zeit haben wir noch nie miteinander verbringen können. Ich war noch nie so lange mit den Kindern und mit meiner Frau zusammen. Außerdem hat dieser Ort für mich persönlich einen besonders sentimentalen Wert und ich verbringe meine Freizeit sehr gerne hier. Ich habe es geschafft, mich zu organisieren, sodass ich von hier aus arbeiten kann – Internet, Rechner, Gitarren usw. Ich habe mein Kram ein wenig bewegt. Und jetzt hoffe ich, mich langsam an die neue Lebensweise zu gewöhnen. Ich hoffe wirklich, dass die Menschen diese Zeit für sich persönlich genutzt haben. Dass sie einige Schlussfolgerungen gezogen haben. Persönlich bin ich viel demütiger geworden. Es fällt einem sicherlich etwas leichter, so zu leben, und es klärt viele Dinge auf, die einen unnötig stören.

 

Reist Du immer mit Ihren Gitarren?

(Lacht) Ich nutze die Zeit für einen kreativen musikalischen Prozess, weil es vor der Quarantäne Pläne und Aufgaben gab – zusammen mit Ostava wie auch mit meinen persönlichen musikalischen und theatralischen Projekten. Ich habe mir kein Endziel gesetzt, aus der Stadt zu fliehen und die größten Hits meines Lebens zu schreiben. Es ist nur so, dass Musik ein wesentlicher Bestandteil meines täglichen Lebens ist und es mir schwer fällt, ohne sie zu leben. Es kann manchmal Tage oder sogar Wochen dauern, ohne dass ich eine Gitarre berühre, aber das Gefühl, dass ich, sollte mir etwas in den Sinn kommen, es nicht sofort aufnehmen kann, führt mich zu Paranoia. Ich muss also immer eine Gitarre zur Hand haben.

 

Vermisst Du es, auf Tour zu sein?

Oh, ich vermisse es so sehr. Alle Künstler vermissen es. Für uns als Musiker, für die Schauspieler, für alle in allen Bereichen. Ich denke, das fehlt einem am meisten. Natürlich ist auch der finanzielle Not der meisten Leute der Kunst äußerst wichtig. Aber der emotionale Mangel am Kontakt mit dem Publikum ist vielleicht das, was ich am meisten vermisse. Trotz aller Online-Veranstaltungen glaube ich nicht, dass es irgendetwas gibt, was den direkten Kontakt ersetzen könnte. Sowohl Musik als auch Theater sind extrem lebendige Künste und die Wahrnehmung ist völlig direkt. Dies ist eines der Dinge, über die ich gesprochen habe – dass während dieser Pandemie eine Person, die sich damit beschäftigt, begreift, wie wichtig ihr all das wirklich ist.

 

Wir und das Publikum vermissen euch auf jeden Fall sehr. Ostava und Gibelin haben eine gemeinsame Geschichte und ihr seid definitiv eine der Bands, an die wir uns gerne und oft erinnern. Ihr Konzert mit P.I.F. im Lido Berlin 2015 war ein einzigartiges Erlebnis. Es fand vor einem überfüllten Saal statt. Berichte uns davon.

Ich habe nur positive Erinnerungen an dieses Konzert und an die ganze Veranstaltung. Erstens, die Idee, mit dieser Band zusammen zu spielen und dazu außerhalb Bulgariens! Zweitens, die gesamte Organisation. In Berlin hatten wir über 400 Menschen Publikum. Es war wundervoll. Ich war davor schon mal auf zwei oder drei Gigs in Lido gewesen, einfach so, als Fan, um einige Lieblingssachen zu sehen, und der Club ist wirklich großartig. 

Das Konzert mit P.I.F. war super erfolgreich, ich hoffe das sieht die Agentur Gibelin genau so. Auf dem rein emotionalen Ebene ist es klar, wir könnten uns nichts mehr wünschen. Organisatorisch war alles Spitze: Vom Sound bis zur Backstage, die Reise, der Aufenthalt in Berlin. Darüber hinaus gab es einen Live-Stream mit sehr anständigem Ton und Video, und das vor vier oder fünf Jahren.

Übrigens, Berlin ist wahrscheinlich Ostavas Lieblingsstadt in Europa. Es ist definitiv mein Favorit, hundertprozentig. Ich glaube, die wenigsten wissen, dass unser anderer Gitarrist Alexander Marburg aus Berlin kommt. Er verbrachte den größten Teil seiner Kindheit und Jugend in Berlin und ist außerdem dort geboren. Selbst rein statistisch sind wir also irgendwie mit Berlin verbunden.

 

Ostava - Manichko Choveche - Live in Berlin

 

Fast unmittelbar danach seid ihr für eine Tour nach Deutschland zurückgekehrt. Was sind Deine Erinnerungen daran?

Das Konzert mit P.I.F. hatte uns einen Impuls gegeben und wir haben mit der Agentur darüber gesprochen, ob wir wieder in Deutschland, aber diesmal in verschiedenen Städten spielen können. Für Bulgaren, aber nicht nur. In Zusammenarbeit mit Gibelin und Martin von Stroeja und Terminal als Manager von Jeremy und verschiedenen anderen wichtigen Ereignissen im alternativen Leben haben wir über eine gemeinsame Tour mit Dead Man’s Hat diskutiert. Sie, eine akustische Band, als erster Akt, dann Jeremy und dann – Ostava. Ich bin sehr froh, dass Gibelin diese Idee wieder aufgegriffen und alles gegeben haben, um sie umzusetzen. 

Ich möchte nur darauf hinweisen, dass Ostava und ich vor der Arbeit mit Gibelin andere Clubtouren in Deutschland hatten. Sie wurden von unserem Freund Ivan Milev-Shakermaker, damals Student in Deutschland, organisiert. Insbesondere die erste war äußerst erfolgreich. Vielleicht, weil es damals nicht so viele Konzerte gab. Es gab vielleicht auch nicht so viele Billigflüge, ich weiß nicht, was der Grund war, aber viele Bulgaren kamen, um uns live zu sehen. Mein Gedanke war, wir haben definitiv eine Affinität zu Deutschland und fühlen uns dort sehr gut. Irgendwie suchten wir sofort nach einer Möglichkeit, auf eine großartige Veranstaltung in Berlin aufzubauen, und es funktionierte.

 

Gab es auf eurer letzten Tour Leute, die auch bei euren ersten Auftritten in Deutschland dabei waren?

Es gab definitiv Leute, die süchtig nach uns waren. Gleichzeitig waren aber auch viele zum ersten Mal auf einem Konzert von uns. Das waren junge Leute, die zurzeit in Deutschland studierten. Dies scheint das größte Publikum für unsere Musik zu sein, zumindest in Deutschland.

 

Was finden wir in Deiner Lieblings-Playlist?

Verschiedenste Dinge. Es wird immer etwas Retro und etwas Tagesaktuelles geben. Allerdings ist für mich die Zeit für „es ist sehr retro“ oder „es ist sehr modern“ schon längst vorbei. Ganz andere Sachen bewegen mich. Je mehr ich mich als Künstler mit Musik beschäftige, desto mehr behandle ich sie als Zuhörer. Wenn ich etwas mag, analysiere ich nicht einmal, welche Part jemand gespielt hat oder welche Technik Gitarristen haben. Ich höre es einfach und genieße es. Und ich hoffe, dass ich auch so behandelt werde.

In diesem Sinne, was höre ich gerade? Ich höre immer permanent Thom Yorke und Radiohead. Von den älteren Bands – Led Zeppelin und Pink Floyd – und mein größter Kult sowohl zu einer Persönlichkeit als auch zu einem Künstler ist John Lennon, und auch David Bowie. Diese Namen sind immer in meiner Playlist vorhanden. Ich würde sogar sagen, dass John Lennons eigene Musik für mich viel cooler ist als viele Beatles-Hits. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn dieser Mist im Jahr 1980 nicht passiert wäre. 

Kurt Cobain ist auch als musikalische Energie etwas Einzigartiges. Ich möchte wirklich, dass der Klang von Nirvana irgendwie zurückkommt. Ich bewege mein persönliches Projekt Homeovox in Richtung wilder Klang, in Richtung Punk. Ich selbst brauche wirklich eine Art Renaissance, eine Rückkehr des rohen Punk-Rock’n’Rolls.

Gleichzeitig liebe ich elektronische Musik mit Gesang. Fangen wir mit Klassikern wie Underworld und Beastie Boys an, wobei letztere viel ehre Punk und Dance machen. Meine Lieblingsmusiker in der Genre Electro kommen aus Berlin: Apparat und Moderat. Sascha von Apparat ist ein genialer Komponist. Er spielt viele Instrumente, ist aber auch ein DJ. Er hat ein sehr starkes Label für elektronische Musik zusammen mit seiner Frau. Moderat ist eine Symbiose zwischen diesem Typen, Sasha von Apparat, und zwei DJs von Modeselektor, die ebenfalls aus Berlin kommen. Sie sind schon echte DJs, sie machen richtig coole Beats.

Das sind so Sachen, die ständig in meiner Playlist dabei sind. Natürlich bin ich in den letzten Jahren ein riesiger Fan von Foals. Ich gehe zu ihren Konzerten immer, wenn ich kann. Sie haben eine tolle Energie.

 

Ende März und Anfang dieses Monats hast Du mit Ostava online gespielt. Waren diese Erfahrungen etwas Besonderes für Dich?

Tja. Es ist nicht das, was es sein sollte. Die Energie, die bei einem Konzert ausgetauscht wird, kommt nicht nur von der einen Seite gibt, sondern auch von der anderen. Anscheinend macht diese Wechselwirkung von Energien, diese Übertragung von Energie die Magie, die uns dazu bringt, Konzerte von Lieblingskünstlern zu besuchen, und die Künstler Liveshows vor Menschen machen lässt. Das Gefühl ist großartig, wenn das Publikum positiv ist. Und nicht nur dann – selbst die negativen Momente machen einen lebendig. Es ist definitiv nicht das, was es sein sollte, aber wir müssen lernen, dass es auch diese Option gibt. Es gibt keinen anderen Weg, geistige Nahrung zu bekommen, wenn keiner live performt. Es ist wie eine Art Backup. Es ist gut, die Möglichkeit zu haben. Das glaube ich wirklich, aber ich hoffe, dass alles, und vor allem die Konzerte, schnell zurück zur Normalität kehren kann. Wir freuen uns schon aufs Ende dieser Unsicherheit.

Ich habe eine persönliche Bitte, ich sage es als Fan: All diese Live-Streams und Online-Konzerte können kostenlos sein, aber es gibt auch viele Leute, die zahlen. Ich denke, auch online zu spielen kostet viel Mühe. Vielleicht sogar noch mehr, weil es für die Künstler emotional verzerrter ist. Als Fan finde ich es schön, wenn man eine kleine Summe für diese Events bezahlt.

 

Ostava - Stop - Live in Berlin


Während der Streams haben wir Songs von Ostavas kommenden Album gehört. Wie würdest Du es beschreiben?

Ich weiß noch nicht, wie es am Ende aussieht, da wir derzeit nur zwei Songs haben. Eigentlich sollte der zweite Track bald veröffentlicht werden. Wir werden eine Promo für die neue Single „Genie“ machen, schlussendlich muss etwas passieren. Parallel dazu nehmen wir zwei weitere Songs auf und wir haben eine Idee für vier oder fünf weitere Lieder. Wir haben sie noch nicht ausgewählt, weil wir entschieden haben, alles, was wir im Moment an Arrangements machen, gemeinsam zu schaffen. Das ist nach so vielen Jahren eine sehr positive Neuheit. Die musikalischen Ideen kommen von mir und Svilen, und die ganze Band kommt zusammen und wählt diejenigen aus, die gut funktionieren, und fast sofort beginnen wir, daran zu arbeiten. Dies ist die Formel im Allgemeinen. 

Ich denke, das Album wird eine vielfältige Stimmung haben. Wir haben besprochen, dass wir versuchen, unabhängig von dem Sound der Musik, nach einem Lied zu streben. Wir wählen nur Ideen aus, von denen wir glauben, dass sie gute Songs werden können. Das Arrangement ist klar, wir machen es selbst, aber wenn ein Stück einen nicht einmal so, rein akustisch, fängt, gibt es nicht viel, was kompensieren kann. Und ich denke, genau das ist die Stärke von Ostava. Wir versuchen, coole Songs zu machen. Wir haben uns keine Grenzen gesetzt. Alle Aufgaben sind verteilt, denn wir kennen unsere individuellen Stärken. Ich hoffe, das Album wird sehr schön und sehr homogen, mit der Marke „Ostava“.

 

Und sollten wir bald etwas von Deinen anderen Projekten erwarten?

Ich habe eine Single von Homeovox aufgenommen. Es ist fertig, aber ich werde ein bisschen abwarten, bis wir Ostavas Single ankündigen. Dann werden wir das Lied meines Projekts Homeovox veröffentlichen. Es gibt bereits ein sehr cooles Lyrics-Video. Das hat eine junge Dame, eine Bulgarin, die in Manchester lebt, gemacht. Sie ist auch für Ostavas neue Video verantwortlich. Alles wird ziemlich frisch klingen. Mein neues Lied mit Homeovox hat einen Punk-Klang. Genau das, wovon ich gesprochen habe: Mit dem harten Sound im Style von Nirvana. Da ist der Album auch fast fertig.

 

Was würdest Du dir für den Rest des Jahres wünschen?

Mein persönlicher Wunsch ist es, bis Ende dieses Jahres mindestens ein Album, entweder von Ostava oder von Homeovox, zu veröffentlichen. Und warum nicht von den beiden Bands.

 

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